Noch ein Text übers Gendern
Aus dem Fernseher ertönt die deutsche Nationalhymne. Fußball EM. Es folgt die typische Kamerafahrt, vorbei an den Spielern, die für Deutschland auflaufen. Es ist nur eine Zehntelsekunde in der ein Gedanke durch meinen Kopf huscht, der mich erschreckt und mich seitdem beschäftigt. „Typisch deutsch sehen da nicht viele aus“. Ich schäme mich für diesen Gedanken, weil ich mich selbst für einen weltoffenen Menschen halte, der absolut nichts für Nationalismus übrig hat. Habe ich wirklich noch dieses alte Bild im Kopf, von DEN Deutschen? Blond und mit blauen Augen, die Thomas oder Stefanie heißen?
Ich habe Freundinnen, die hier geboren wurden und deren Eltern aus anderen Ländern stammen. Freundinnen, die mit 3 oder mit 6 Jahren hier her kamen, perfekt Deutsch sprechen und was man sonst noch so als Kriterien verwendet, um den Grad an „Deutsch-Sein“ zu messen. Ich weiß also, dass es viele Facetten von Identität, Nationalität, Kultur und Zugehörigkeit gibt. Und doch assoziiert mein Kopf mit dem Begriff „deutsch“ leider immer noch ganz bestimmte Merkmale.
Sprachwissenschaftler_innen würden wohl von einer Form von Implikatur sprechen. Dinge, die nicht ausgesprochen, aber trotzdem gesagt werden. Wir brauchen diese Implikaturen, damit unsere Sprache funktioniert. Wenn jede Person bei einem bestimmten Wort ein anderes Bild vor dem inneren Auge sieht, scheitert unsere Kommunikation.
In der Erwachsenenbildung würde man in Anlehnung an die Theorie des Transformativen Lernens vielleicht von Frames sprechen. Eine bestimmte Situation erleben wir immer vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen. Wir suchen unbewusst oder bewusst in unserer Erinnerung nach ähnlichen Gegebenheiten, um auf Dinge in der Gegenwart zu reagieren. Wir bewegen uns so in unseren Frames, die sich durch Erlebnisse bilden. Ähnliches geschieht mit Worten. Unsere eigenen Erfahrungen und der sogenannte „common sense“ der dafür sorgt, dass wir uns untereinander verstehen, ruft in uns ganz bestimmte Assoziationen hervor, wenn wir Worte hören.
Gibt es wirklich noch jemanden, der bestreitet, das unsere Sprache eine Wirkung hat? Wenn man sich bewusst macht, was Propaganda im Dritten Reich bewirkt hat (auch mit Bildern, aber vor allem auch mit Sprache), ist das schwer vorstellbar. Warum also wehren sich so viele dagegen zu sehen, dass eine Gleichberechtigung aller Geschlechter auch über die Sprache kommen muss?
Nehmen wir uns mal das Wort Chef vor: Es gibt bei weitem mehr männliche Führungskräfte in Deutschland als weibliche. Schreibe ich nun also einen Text, in dem es um Personen in Leitungsfunktionen geht, nutze jedoch nur das Wort „Chef“ und kein einziges Mal das Wort „Chefin“ oder die Schreibweise, die alle Geschlechter einschließt, also „Chef_in“, hat dies eine Wirkung auf alle, die einen solchen Text lesen. „Mit Chef sind doch alle gemeint“ zählt hier nicht als Argument. Wir alle wissen, dass es mehr Chefs gibt als Chefinnen. Sprechen wir weiter nur in der männlichen Form, festigt sich die Vorstellung, dass dies normal ist und so sein sollte. Ein Mann als Führungskraft gilt als normal. Es ist Dasselbe wie mit dem „deutsch-sein“. In unseren Köpfen geschieht mehr als das nüchterne Hören eines Wortes.
Aber woher kommt dann dieser Widerstand? In meiner Zeit als Studentin bin ich einigen Menschen begegnet, die in einer Art für eine Schreibweise eintreten, die alle Geschlechter gleichberechtigt behandelt, dass ich die Ablehnung teilweise verstehen kann. Dieser Kampf wird nicht selten von Frauen geführt, die Männer als das böse Geschlecht ansehen und fast schon militant darauf pochen, dass bestimmte Regelungen eingehalten werden. Das würde mich als Mann mit Sicherheit auch in eine defensive und ablehnende Haltung versetzen. Nicht zuletzt Emma Watson zeigt mit ihrer Kampagne für die UN, die den Namen „He for She“ trägt, dass ein "Frauen kämpfen gegen Männer "nicht mehr zeitgemäß ist. Feminismus bedeutet nicht das männliche Geschlecht dafür zu hassen, dass Frauen lange Zeit und in vielen Bereichen nicht gleichberechtigt waren (oder immer noch sind). Es sollte bedeuten, dass Männer und Frauen und alle, die sich beiden oder keinem von beiden Geschlechtern zugehörig fühlen, ohne Diskriminierung genau die Lebensform leben können, die sie glücklich macht. Das schließt das Liebesleben ebenso ein wie die Chancen im Beruf.
Ein zweiter Widerstand regt sich bei vielen durch die Komplikationen in der Schreibweise. Und ja, manchmal zermartert man sich den Kopf um eine schöne Formulierung zu finden, ohne die Thematik des Genderns außer Acht zu lassen. Unsere Sprache ist schon kompliziert genug. Ich habe genug Hausarbeiten und Essays geschrieben um das zu wissen. In der Regel gibt es jedoch eine Möglichkeit, die Lesbarkeit zumindest teilweise zu erhalten. Schreibt man „die Studierenden“ anstatt die Student_innen sieht das ganze schon anders aus.
Gesellschaftliche Strukturen zu verändern braucht meines Erachtens zwei Dinge: Zeit und Arbeit. Ja, Arbeit. Wir können uns nicht einbilden, dass die Zeit alleine das schon richten wird und ignorieren, welch enorme Wirkung unsere Sprache auf uns und insbesondere unsere Kinder hat, die mit ihr aufwachsen und von ihr geprägt werden.
Und obwohl ich mich in diesem Text für eine Geschlechter gerechte Schreibweise ausgesprochen habe, möchte ich hier noch einmal betonen: ich halte nichts davon, sich NUR damit zu beschäftigen, wie man was zu schreiben hat, damit sich niemand diskriminiert fühlt. Viel wichtiger ist meiner Meinung nach darüber zu sprechen, was WIRKLICHE Gleichberechtigung für uns alle bedeuten kann. Und was im Gegenzug Diskriminierung für bestimmte Teile einer Gesellschaft bedeutet. Und hier schließe ich Männer, die das Gefühl haben, nicht dem allgemein akzeptierten Bild eines „richtigen Mannes“ zu genügen genauso ein, wie eine Frau, die sich nicht traut, ihrem Wunsch Hausfrau zu sein nachzugehen, weil sie dann den „Feminismus verrät“. Es geht als allererstes um die Haltung. Um die Fähigkeit es auszuhalten, wenn jemand eine andere Lebensweise gewählt hat als ich. Dann kommt der Rest wahrscheinlich von alleine. Und bis wir eine andere Lösung gefunden haben, sprechen wir eben von „Führungskräften“ und nicht nur von „Chefs“ oder von "pädagogischem Fachpersonal" und nicht nur von "Erzieherinnen".